Freitag, 25. Juni 2004
Haarspaltereien - Was Friseure alles tun, um ihr Geschäft zu sichern
figaro, 09:58h
Jeden Dienstag kann man sich im Laden von Udo Luy das Tanzen beibringen lassen, Salsa zum Beispiel oder Discofox. Dabei betreibt der Kölner gar keine Tanzschule – sondern einen Friseursalon. Luy ist Experte für Waschen, Schneiden, Legen, die Sache mit dem Wiegeschritt erledigt er nebenbei mit einem Tanzlehrer an seiner Seite. „Durch den besonderen Service binden wir Kunden an uns“, sagt er. Doch was Friseure gern als speziellen Dienst am Kunden bezeichnen, ist nach Ansicht von Kai-Uwe Dalichow der Ausdruck einer tiefen Krise. „In unserer Branche kämpft zurzeit jeder Betrieb ums Überleben“, sagt der Innungsmeister aus Berlin.
Die Deutschen lassen sich zwar nach wie vor die Haare schneiden – Frauen sechs-, Männer siebenmal im Jahr. Bloß geben sie dafür weniger Geld aus. Der Umsatz der Friseure sinkt, im vergangenen Jahr um 4,5 Prozent auf 4,67 Milliarden Euro. Das ist umso dramatischer, da die Zahl der Salons im selben Zeitraum von 63800 auf 65400 zugenommen hat. Immer mehr Friseure streiten sich also um eine gleich bleibende Zahl von Kunden.
Die meisten tragen den Wettbewerb über den Preis aus. „Cut and go“ heißt das weit verbreitete Konzept, bei dem sich der Service auf das Haareschneiden beschränkt. Föhnen muss der Kunde, und auch die kostenlose Tasse Kaffee fällt weg. Statt persönlicher Zuwendung bekommt jeder Besucher einen Nummernzettel in die Hand gedrückt, wie er ihn von der Fleischtheke im Supermarkt kennt. Eine Daumenregel in der Branche besagt, dass ein Betrieb pro Frisierstuhl 45 Euro Umsatz in der Stunde machen muss, um rentabel zu wirtschaften. Beim „Cut and go“-Prinzip müsse man also alle 20 Minuten einen neuen Kunden bedienen, schätzt Friseurmeister Dalichow. Sonst gehe die Rechnung nicht auf.
Einer der Vorreiter dieses Prinzips war 1996 die Kette Headhunter aus Bremen. Konkurrenten wie die Berliner Notaufnahme folgten, mittlerweile arbeiten sie zu Kampfpreisen um die zehn Euro.
Vom Trend zum billigen Schnitt profitiert auch die Düsseldorfer Essanelle Hair Group, mit 570 Salons eine der großen Friseurketten. Erst vor zwei Jahren gründete sie eine eigene Billigmarke, den HairExpress. Der Umsatz bei den Express-Schneidern stieg in der ersten Hälfte dieses Jahres gegenüber dem ersten Halbjahr 2002 um 48 Prozent. Weniger gut laufen die exklusiven Essanelle-Sparten. Bei mod’s hair ging der Umsatz in den ersten sechs Monaten um 36 Prozent zurück, bei Jürgen Tröndle um knapp 13 Prozent. Jetzt sollen weitere Express-Filialen die Bilanz verbessern.
Doch nicht alle Friseure wollen sich auf einen Verdrängungswettbewerb einlassen, in dem der eine den anderen preislich unterbietet und am Ende niemand mehr auf seine Kosten kommt. Wenn Figaro Udo Walz in seinem Salon am Berliner Ku’damm zwischen den Stühlen herumschwirrt, hier einen Pony richtet und dort nach dem Befinden fragt, möchte er der Kundschaft auch ein gewisses „Lebensgefühl“ mit auf den Weg geben. Friseure wie Walz oder der Münchner Gerhard Meir setzen auf den Promi-Faktor und bieten Exklusivität. Andere Salons servieren Frühstück oder lassen ihre Kunden im Internet surfen. Besonders in den Großstädten suchen sich die Betriebe Nischen, um aufzufallen.
„Von der Zusammenarbeit mit Partnern aus anderen Branchen versprechen sich die Friseure Synergieeffekte“, sagt Harald Esser, Obermeister der Friseurinnung Köln. Wie der Salonbetreiber Bijan Peymani, der seinen Kunden südafrikanische Weine serviert, während diese ihre Haarfarben einwirken lassen. Sein Hamburger Hair Concept1 hat sich Wein und Damenschuhe als zusätzliche Einnahmequellen ausgesucht. Demnächst sollen After-Work-Partys an der saloneigenen Bar folgen. Die Zusatzangebote bringen ihm pro Monat bis zu 1200 Euro extra in die Kasse. Doch der wahre Gewinn sei ein besseres Image. „Wein und Schuhe sind zwar kein Umsatzknüller, aber wir heben uns von der Konkurrenz ab“, sagt Peymani. Wenn ein Friseur sein Geschäft nur aufs Schneiden reduziere, sei er schneller austauschbar. Die Schuhe kaufen Peymani und sein Partner im Schuhladen einer Bekannten. Dadurch kommt auch sie an einen breiteren Kundenkreis, und beide profitieren ein wenig von ihrem privaten Netzwerk.
Wer sich nicht mit einem Partner zusammentut, überlegt sich, was er selbst kann – außer Haare schneiden. Von Maniküre bis Massage decken die Wellness-Angebote der Salons alles ab, was müde Kundenkörper streichelt. Auch Sven Bücking und Markus Stüber, die Gründer der Berliner Notaufnahme, möchten von der Wellness-Welle profitieren. Denn sie fürchten, dass das Geschäft mit immer billigeren Schnitten auf Dauer nicht läuft. Während Essanelle weiterhin auf den Billigtrend setzt, trauen die Berliner diesem Markt kein Wachstum mehr zu. Zurzeit besuchen etwa 20 Kunden pro Tag ihren klinisch nüchtern eingerichteten Salon, in dem Krankenhausbetten die Sofaecken ersetzen. Mehr Umsatz soll demnächst ein zweiter Laden mit einem breiteren und teureren Angebot bringen – die Intensivstation zur Notaufnahme. „Mit Käffchen, Häppchen, Chill-out-Musik und mehr Zeit für Gespräche“, sagt Bücking. Wenn die Leistung stimme, seien die Kunden auch bereit, mehr Geld zu bezahlen. Es muss nicht immer billig sein, glaubt der Friseur.
Doch es gibt auch Kritik am Wildwuchs in den Salons. Gerd Paulsen, Obermeister der Friseurinnung Hamburg, hat kein Verständnis für die geschäftstüchtigen Kollegen. „Es ist nicht statthaft, Dienstleistungen anzubieten, die über das Handwerk hinausgehen“, sagt er. Und das, obwohl die Konkurrenz größer wird und die Umsätze abnehmen.
Welche Strategie sich letztlich durchsetzt, entscheidet der Kunde. Und der hat sich ja auch schon darauf eingelassen, Brötchen bei der Tankstelle und Regenjacken beim Kaffeeröster zu kaufen.
Birgit Dengel
(Quelle (c) DIE ZEIT 06.11.2003 Nr.46)
Die Deutschen lassen sich zwar nach wie vor die Haare schneiden – Frauen sechs-, Männer siebenmal im Jahr. Bloß geben sie dafür weniger Geld aus. Der Umsatz der Friseure sinkt, im vergangenen Jahr um 4,5 Prozent auf 4,67 Milliarden Euro. Das ist umso dramatischer, da die Zahl der Salons im selben Zeitraum von 63800 auf 65400 zugenommen hat. Immer mehr Friseure streiten sich also um eine gleich bleibende Zahl von Kunden.
Die meisten tragen den Wettbewerb über den Preis aus. „Cut and go“ heißt das weit verbreitete Konzept, bei dem sich der Service auf das Haareschneiden beschränkt. Föhnen muss der Kunde, und auch die kostenlose Tasse Kaffee fällt weg. Statt persönlicher Zuwendung bekommt jeder Besucher einen Nummernzettel in die Hand gedrückt, wie er ihn von der Fleischtheke im Supermarkt kennt. Eine Daumenregel in der Branche besagt, dass ein Betrieb pro Frisierstuhl 45 Euro Umsatz in der Stunde machen muss, um rentabel zu wirtschaften. Beim „Cut and go“-Prinzip müsse man also alle 20 Minuten einen neuen Kunden bedienen, schätzt Friseurmeister Dalichow. Sonst gehe die Rechnung nicht auf.
Einer der Vorreiter dieses Prinzips war 1996 die Kette Headhunter aus Bremen. Konkurrenten wie die Berliner Notaufnahme folgten, mittlerweile arbeiten sie zu Kampfpreisen um die zehn Euro.
Vom Trend zum billigen Schnitt profitiert auch die Düsseldorfer Essanelle Hair Group, mit 570 Salons eine der großen Friseurketten. Erst vor zwei Jahren gründete sie eine eigene Billigmarke, den HairExpress. Der Umsatz bei den Express-Schneidern stieg in der ersten Hälfte dieses Jahres gegenüber dem ersten Halbjahr 2002 um 48 Prozent. Weniger gut laufen die exklusiven Essanelle-Sparten. Bei mod’s hair ging der Umsatz in den ersten sechs Monaten um 36 Prozent zurück, bei Jürgen Tröndle um knapp 13 Prozent. Jetzt sollen weitere Express-Filialen die Bilanz verbessern.
Doch nicht alle Friseure wollen sich auf einen Verdrängungswettbewerb einlassen, in dem der eine den anderen preislich unterbietet und am Ende niemand mehr auf seine Kosten kommt. Wenn Figaro Udo Walz in seinem Salon am Berliner Ku’damm zwischen den Stühlen herumschwirrt, hier einen Pony richtet und dort nach dem Befinden fragt, möchte er der Kundschaft auch ein gewisses „Lebensgefühl“ mit auf den Weg geben. Friseure wie Walz oder der Münchner Gerhard Meir setzen auf den Promi-Faktor und bieten Exklusivität. Andere Salons servieren Frühstück oder lassen ihre Kunden im Internet surfen. Besonders in den Großstädten suchen sich die Betriebe Nischen, um aufzufallen.
„Von der Zusammenarbeit mit Partnern aus anderen Branchen versprechen sich die Friseure Synergieeffekte“, sagt Harald Esser, Obermeister der Friseurinnung Köln. Wie der Salonbetreiber Bijan Peymani, der seinen Kunden südafrikanische Weine serviert, während diese ihre Haarfarben einwirken lassen. Sein Hamburger Hair Concept1 hat sich Wein und Damenschuhe als zusätzliche Einnahmequellen ausgesucht. Demnächst sollen After-Work-Partys an der saloneigenen Bar folgen. Die Zusatzangebote bringen ihm pro Monat bis zu 1200 Euro extra in die Kasse. Doch der wahre Gewinn sei ein besseres Image. „Wein und Schuhe sind zwar kein Umsatzknüller, aber wir heben uns von der Konkurrenz ab“, sagt Peymani. Wenn ein Friseur sein Geschäft nur aufs Schneiden reduziere, sei er schneller austauschbar. Die Schuhe kaufen Peymani und sein Partner im Schuhladen einer Bekannten. Dadurch kommt auch sie an einen breiteren Kundenkreis, und beide profitieren ein wenig von ihrem privaten Netzwerk.
Wer sich nicht mit einem Partner zusammentut, überlegt sich, was er selbst kann – außer Haare schneiden. Von Maniküre bis Massage decken die Wellness-Angebote der Salons alles ab, was müde Kundenkörper streichelt. Auch Sven Bücking und Markus Stüber, die Gründer der Berliner Notaufnahme, möchten von der Wellness-Welle profitieren. Denn sie fürchten, dass das Geschäft mit immer billigeren Schnitten auf Dauer nicht läuft. Während Essanelle weiterhin auf den Billigtrend setzt, trauen die Berliner diesem Markt kein Wachstum mehr zu. Zurzeit besuchen etwa 20 Kunden pro Tag ihren klinisch nüchtern eingerichteten Salon, in dem Krankenhausbetten die Sofaecken ersetzen. Mehr Umsatz soll demnächst ein zweiter Laden mit einem breiteren und teureren Angebot bringen – die Intensivstation zur Notaufnahme. „Mit Käffchen, Häppchen, Chill-out-Musik und mehr Zeit für Gespräche“, sagt Bücking. Wenn die Leistung stimme, seien die Kunden auch bereit, mehr Geld zu bezahlen. Es muss nicht immer billig sein, glaubt der Friseur.
Doch es gibt auch Kritik am Wildwuchs in den Salons. Gerd Paulsen, Obermeister der Friseurinnung Hamburg, hat kein Verständnis für die geschäftstüchtigen Kollegen. „Es ist nicht statthaft, Dienstleistungen anzubieten, die über das Handwerk hinausgehen“, sagt er. Und das, obwohl die Konkurrenz größer wird und die Umsätze abnehmen.
Welche Strategie sich letztlich durchsetzt, entscheidet der Kunde. Und der hat sich ja auch schon darauf eingelassen, Brötchen bei der Tankstelle und Regenjacken beim Kaffeeröster zu kaufen.
Birgit Dengel
(Quelle (c) DIE ZEIT 06.11.2003 Nr.46)
... comment