Der Friseurladen

Ein Projekt der Optischen Anstalten
Mittwoch, 9. Februar 2005
Mehr als Waschen und Schneiden: Szene-Friseurläden als skurrile Kitschhöllen
Sie heißen "Bordel!", "Kaiserschnitt" oder "Ponyclub" und bieten mehr als "Waschen, Schneiden, Fönen". Wer dort einmal auf dem Friseurstuhl sitzt, kann dem Alltag kaum schöner enthoben sein: im Wohnzimmer-Ambiente und mit einem Assistenten, der die Gäste vom Wartesofa bis auf den Sessel geleitet und dazu Cappuccino serviert. Wer die Alternative sucht zu Wartenummer-Friseuren oder dem klassischen Oma-Salon, ist hier gut aufgehoben: bei Berliner Szene-Friseuren, die eine schräge Behaglichkeit und familiäre Atmosphäre versprühen. Deren Interieur lädt mal zu einer Zeitreise in die 50er-Jahre ein oder führt direkt in den Schlund einer barocken Kitschhölle. Hauptsache, privat und gemütlich geht es zu.

Wer den "Kaiserschnitt" betritt, wird um ein halbes Jahrhundert zurück katapultiert: Ein Steinmosaik überzieht den Boden, an den Wänden sind Tapeten mit 50er-Jahre-Muster. In der Mitte des Raums steht ein Nierentisch samt Cocktailsessel, aus der Küche dudeln Elvis-Songs. Fast überall lacht der "King" von den Wänden. "Bei mir Zuhause stehen auch solche Sachen", sagt Laden-Inhaberin Magdalena Bzinkowski. "Ich habe schon immer in den 50er-Jahren gelebt." Die 27-Jährige trägt ihre Haare als Bobfrisur wie zu Zeiten Adenauers. Vor anderthalb Jahren hat sie an der Wühlischstraße eine Drei-Zimmer-Parterrewohnung gemietet und auf 85 Quadratmetern ihren Traum verwirklicht: einen Frisör-Salon im 50er-Jahre-Stil. Wer seine Haarpracht authentisch tragen will wie damals in der Wirtschaftswunderzeit, dem empfiehlt Magdalena "einen Facon mit Scheitel, der mit Pomade nach hinten gewellt ist". Nur die drei roten Schneidesessel verraten, dass man sich beim "Kaiserschnitt" bei einem Frisör befindet.

"Ponys? Schneiden wir umsonst", sagt "Ponyclub"-Besitzer Tim Kreutzfeld. Der 35-Jährige ist ein Pferdenarr ist, und davon profitieren auch seine Kunden: Denn jeder kann unangemeldet hereinrauschen und sich den Pony kürzen lassen. "Ansonsten schneide ich aber Frisuren im britischen Stil." Soll heißen: Wuschel-Frisuren, die von unten nach oben in feiner Stufung geschnitten werden. Kombiniert hat Kreutzfeld auch die Einrichtung seines Ladens: Im hinteren großen Zimmer hängt eine Discokugel vor einer grellen 70er-Jahre-Tapete. Alles sehr geräumig, groß, hell. Ein Stilmix, der das Auge nicht überflutet, sondern auch Wert legt auf kühles Design. An den Wänden übergroße Fotografien. "Unsere aktuelle Ausstellung", so Kreutzfeld. Vernissagen stehen ebenso auf dem Programm.

Den Salon "Beige" in Mitte sucht man nicht. Man weiß, wo er ist: In einer Vier-Zimmer-Wohnung im Hinterhof hat Oliver Weidner seinen Friseurladen als skurrile Kitschhölle eingerichtet - mit Hang zum ausladenden Barockstil. Sogar das Licht, das die Wohnung wohldosiert durchflutet, nimmt eine goldene Farbe an. Eine Gardine im Empfangsraum schirmt einen "Schneidebereich" ab, der der Backstage-Garderobe einer Diva nachempfunden ist. Nebenan im Wartezimmer sieht schon wieder alles anders aus. In der Mitte thront ein Metallschrank mit aufmontierter Glasvitrine, unter der alte Seifen zu sehen sind. "Nur Mundpropaganda und Wohngemeinschafts-Charakter pur" heißt sein Konzept, das aber auch schon zu Missverständnissen geführt hat: "Bei Vernissagen sehen die Leute die Friseursessel und fragen :,Hier kann man sich auch die Haare schneiden lassen?'"

ddp

Quelle: www.welt.de

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